100 km Biel 2011
Biel 2011
Voller Erwartungen und mit einer gedacht guten Vorbereitung ging es nach Biel. 100 km in weniger als 10 Stunden sollten es sein. Aber es kam leider anders…
Bereits am Donnerstag reisten Dagmar und ich an. Wir hatten wieder im Salihgut, einem Zivilschutzbunker, „gebucht“. Bereits 2008 waren wir dort untergebracht und es hatte uns dort sehr gut gefallen, vor allem in Sachen Stimmung und guter „Start/Ziel“-Anbindung. Ich bin mir jetzt nicht mehr wirklich sicher, denke aber, dass die Preise dort deutlich angezogen haben. Wir (Dagmar und ich) haben für drei Nächte und je 2 mal Frühstück insgesamt über 150 Euro gezahlt. Und das für eine Massenunterkunft…
Nachdem Dagmar erst vor zwei Wochen einen Eingriff wegen einer Arterienverengung über sich ergehen lassen musste, wollte sie sich im Laufe der Veranstaltung entscheiden, wie weit, bzw. ob sie überhaupt läuft. Sie hatte also im Gegensatz zu mir keine ambitionierten oder sonstigen Zeitziele und wollte einfach mal probieren, wie weit sie nach 5 Wochen ohne Training denn so kommt, bzw. ob es überhaupt geht (oder besser: läuft!).
Wir konnten im Laufe des Jahres zwei Lauffreunde von uns dazu bringen, es doch auch einmal über die 100 km versuchen zu wollen. Ute Muires und Marc Renner, beide aus Köln, hatten sich zusammen mit uns vorbereitet und wir haben im Vorfeld einige gemeinsame lange Läufe absolviert und die beiden gut auf Biel und was sie dort so erwartet eingestimmt. Und vor allem hatten beide gut daraufhin trainiert.
Vor dem Start auf dem Zentralplatz in Biel (Marc, Ute, Dagmar und Wolfgang)
In diesem Jahr erfolgte erstmalig der Start in der Bieler Innenstadt (Zentralplatz) und das Ziel war am Bieler See. Dort war auch das große Festzelt, in welchem eine kleine Marathonmesse, die Startkartenausgabe und ein Cateringbereich untergebracht waren. Das legendäre alte Eisstadion mit seinen sehr guten logistischen Voraussetzungen war somit leider nicht mehr verfügbar. Nach Auskunft vor Ort sollten so die Sponsoren im Innenstadtbereich besser präsentiert werden können und mehr Zuschauer an Start und im Ziel sein.
Leider ging dieses Konzept meines Erachtens überhaupt nicht auf. Dafür war sicher auch das schlechte Wetter (pünktlich zum Start goß es die ganze Nacht und den Samstag Vormittag über in Strömen) mit verantwortlich. Sicher aber nicht nur dies. Im Zielbereich war so gut wie kein Publikumsverkehr im Laufe des Samstages feststellbar, der nicht auf Athleten oder deren Begleitung zurückzuführen war. Auch beim Start konnte ich nicht mehr Zuschauer/Schaulustige wie zuletzt 2008 feststellen, als wir nach dem Start am Eisstadion durch die Stadt liefen.
Das Zelt selber war m.E. nicht geeignet, einen entsprechenden Rahmen für die Veranstaltung zu bieten. Durch den Dauerregen und den steinigen Untergrund glich der Boden im Inneren mehr einer riesigen Schlammpfütze. Die Preise für das Catering im Festzelt glichen denen der Restaurants im Innenstadtbereich, nur das man hier an Biertischgarnituren saß, es sich um Großküchenqualität handelte und man von Plastikgeschirr und –besteck essen musste. Eine Portion Nudeln mit Tomatensoße kostete beispielsweise 10 CHF und eine Tasse Kaffe im Pappbecher 3,50 CHF (und der war nur halb voll).
Also alles in allem kann man die äußeren Bedingungen hier als ziemliche Abzocke sehen. Natürlich war uns bekannt, dass die Schweiz kein billiges Pflaster ist, aber seit 2008 scheint hier einiges schlechter als besser geworden zu sein. Zumindest ich hab mich hier als Läufer nur noch abgemolken (Startgebühr hatte sich ja auch merklich erhöht) statt wohl gefühlt.
Nun aber zurück zum Wesentlichen, dem Lauf.
Dagmar meldete dann bei der Startkartenausgabe doch nicht auf Marathon um, was sich im Nachhinein als absoluter Glücksfall herausstellte, da aufgrund von organisatorischen Fehlern die Marathon- und Halbmarathonläufer falsch geschickt wurden und dadurch 7,5km weniger gelaufen sind!
Auch wenn die Veranstalter mittlerweile eine Entschuldigung auf der Homepage veröffentlicht haben und den Athleten/innen für das Folgejahr einen Freistart auf der gleichen Distanz zugesagt haben, so bleiben diese dennoch auf den ganzen Nebenkosten wie Anreise, Unterkunft und Verpflegung sitzen, ohne aber das gebuchte und bezahlte sportliche Erlebnis haben zu dürfen.
Dagmar ging also an den Start des 100 km-Laufes. Ich selber hatte zwar keinerlei Tempoarbeit in der Vorbereitung gemacht, jedoch viele lange Läufe absolvieren können (bis 73 km – Rennsteig) und fühlte mich sehr gut. Ich traute mir realistisch eine Zeit von unter 10 Stunden zu und wollte dementsprechend mit einem Schnitt von ca. 5:50min/km angehen. Kurzfristig hatte Dietmar Göbel sich angeboten, mich zu begleiten und erforderlichenfalls tüchtig in den H… zu treten, sollte ich das Jammern anfangen. Nachdem wir uns im Startgetümmel verpassten, haben wir uns noch vor km 1 getroffen und konnten den Lauf zusammen angehen. Starkregen war für die Nacht angesagt und pünktlich zum Startschuss fing es dann auch an zu gießen. Dies sollte auch bis zum Samstag Nachmittag anhalten. Lediglich kurze Abschnitte konnten daher durch die Teilnehmer ohne Regen gelaufen werden.
Marc hatte nach meinem 12 Stundenplan trainiert und wollte vorsichtig angehen. Anhand seiner Trainingsergebnisse war dies ein realistisches Ziel und Marc ist, was die Renneinteilung angeht, wirklich sehr vernünftig. Er neigt absolut nicht zum überpacen und geht immer ganz ruhig an. Ute wollte einfach nur ankommen und ging dementsprechend auch sehr vorsichtig an. Zunächst liefen Ute, Marc und Dagmar zusammen. Nach den ersten Kilometern nahm dann Marc sein angedachtes Tempo von etwa 7 min/km auf und trabte langsam davon. Dagmar und Ute sollten den Lauf komplett zusammen durchziehen!
Es erfolgte also pünktlich um 22 Uhr in der Bieler Innenstadt der Startschuss. Nachdem ich Dietmar erblickt hatte verliefen die ersten beiden Stunden wie im Fluge. Wir hatten uns viel zu erzählen und vor allem viel zu lachen. Der Regen wurde zwischenzeitlich zwar immer mal wieder stärker, aber das tat der guten Stimmung keinen Abbruch. Zwischenzeitlich lief Silvan Basten von der LG DUV noch mit, der sich in Biel die Quali für den Spartathlon 2012 „abholen“ wollte. Leider hat er auch dem Wetter und einigen Problemchen Tribut zollen müssen und kam „erst“ nach 11 Stunden wieder in Biel an.
Es lief einfach super. Die Muskulatur war locker, der Puls im angestrebten Bereich und auch die Steigungen konnten problemlos gelaufen werden. Erstaunt waren wir, dass bereits in Biel die Walker, Nordic-Walker und Marathon- sowie Halbmarathonläufer auf einmal vor uns waren. Dieser Umstand wurde ja dann durch die Fehlleitung nachher geklärt…
Der erste schöne Höhepunkt war mal wieder die Holzbrücke in Arberg bei km 18. Immer wieder ein tolles Erlebnis dort durch zu laufen. Diesmal waren schon wegen des Regenwetters noch mehr Zuschauer auf der Brücke, weil es dort halt trocken war im Gegensatz zum Marktplatz, dem Halbmarathonziel, selbst.
Weiter also durch die Regennacht. Dietmar und ich hatten immer noch unseren Spaß und liefen locker weiter. Nach etwas über 30 km kam dann das erste kleinere Tief. Und ich begann daran zu zweifeln, es unter 10h schaffen zu können. Dietmar sagte nur, dass ich mir keinen Kopp machen brauche, denn das denkt man zwischen 30 und 35 eh immer. Recht hat er. Also einfach das Tempo halten, denn muskulär und pulsmäßig stimmte nach wie vor alles. Mein nächstes Teiletappenziel lautete Oberramsern bei km 38, gleichzeitig Marathonziel (wäre die Schleife in Biel entsprechend richtig gelaufen worden…)
Auch in Oberramsern nur ein kurzer Stopp und Cola getrunken, sowie die Trinkflasche mit Wasser aufgefüllt. Und kurz danach kam es dann. Ich lief rechts um die Ecke leicht bergab und merkte, dass mein Magen plötzlich anfing zu rebellieren. Keine 300 Meter nach der VP musste ich mich dann das erste Mal übergeben. Ich dachte mir, dass ich vielleicht zu hastig getrunken hatte und lief wieder an. Aber nach weiteren 50-100 Metern das gleiche Problem. Erneut musste ich mich übergeben. Ich schickte Dietmar weg, weil ich erst einmal etwas gehen wollte, um den Magen zu beruhigen und hakte mein Zeitziel ab. Ich hoffte, wenn ich einige Zeit gehe und dann deutlich langsamer wieder anlaufe, dennoch wenigstens durchlaufen zu können, denn Muskeln und Kreislauf funktionierten hervorragend. Dietmar verabschiedete sich und lief los. Er sollte aber leider auch noch Zeit liegen lassen und kam nach 10:22h wieder in Biel an. Angesichts seiner derzeit sehr eingeschränkten Trainingszeiten allerdings immer noch sehr gut.
Leider beruhigte sich mein Magen in der Folgezeit überhaupt nicht mehr. Ich konnte nur noch gehen. Sobald ich anlief überkam mich nach wenigen Metern bereits ein erneuter Brechreiz. Sogar in den Bergabgehphasen musste ich aufpassen, mich nicht ständig weiter zu übergeben. Ich beschloss dann bei km 45 auszusteigen. Es machte für mich einfach keinen Sinn, die nächsten 55 km weiter zu wandern. Zumal ich auch nicht in der Lage war etwas aufzunehmen. Weder Wasser, warme Brühe oder etwas Festes konnte ich zu mir nehmen. Hinzu kam nun, dass ich durch das Gehen anfing zu frieren und der Regen sein Übriges dazutat. Also beim dritten Mal in Biel der erste Ausstieg. Ich wurde dann von einem Militärbus abgeholt und zum Sammeltransport nach Kirchberg gefahren. Von dort ging es im großen Bus nach Biel in den Zielbereich. Dort hatte ich glücklicherweise eine trockene Garnitur Bekleidung und das Schlottern hatte ein Ende. Um 5 Uhr fuhr dann der erste Schuttlebus zum Salihgut und ich konnte mich hinlegen und aufwärmen.
Biel scheint irgendwie nicht mein Pflaster zu sein. Bei den vorherigen beiden Teilnahmen (2001 und 2008) lief es auch überhaupt nicht nach Plan, aber wenigstens konnte ich da noch finishen.
Naja, abhaken und das Jahr weiter planen. Wenigstens kann ich jetzt gleich weitertrainieren und das nächste Ziel ansteuern. Vielleicht ja beim 100er in Thüringen, dann aber ohne Zeitambitionen, was ja allein aufgrund des Profils schon ziemlich vermessen wäre.
Unheimlich gefreut habe ich mich, dass Dagmar tatsächlich durchlaufen konnte. Sie lief zusammen mit Ute und die beiden kamen nach etwa 16:30 Stunden gemeinsam in Biel an. Ihr Bein hielt, natürlich fehlt noch das Training, aber jetzt lässt uns dies doch wieder ein wenig hoffen. Auch Ute war überglücklich, ihren ersten 100er geschafft zu haben. Die ganze Nacht wurde sie noch von ihrem Mann Wolfgang unterstützt, der mit dem Auto an den zulässigen Stellen moralisch und mit eigenen Leckereien ihre Bielteilnahme aktiv unterstützte. Und es macht sicher keinen richtigen Spaß nachts bei strömendem Regen durch die Schweizer Nebenstraßen zu tingeln…
Marc hat den Vogel abgeschossen! Nach 12:14h kam er überglücklich und geschafft in Biel an. Angesichts der äußeren Umstände also eine tolle Zeit. Wenigstens er konnte die Trainingsplanvorgabe umsetzen und zudem hat er bei seinem Debut auf der 100 km-Strecke in Biel seinen Mentor schon geschlagen. Klasse Marc! Aber: Ich komme wieder!
So hat das Wochenende dann doch noch Spaß gemacht. Als Fazit bleibt aber festzuhalten, dass der Bieler 100er in seiner 53. Ausgabe Fehler gemacht hat, die einer so renommierten Veranstaltung einfach nicht passieren dürfen. Die logistischen Voraussetzungen sind in dieser Ausführung nicht ausreichend und machen das „Bielfeeling“ kaputt. Schade und ich hoffe sehr, dass hier wieder einiges geändert wird. Vor allem aber auch preislich…
Ich selber bin zwiespältig, was einen weiteren Start in Biel angeht. Zunächst habe ich noch gesagt, dass ich auf keinen Fall wieder dort starten werde. Mittlerweile überwiegt aber, dass ich mich nicht mit einer Niederlage aus Biel verabschieden möchte. Also werde ich mal den Jahresverlauf abwarten und mich am Jahresende entscheiden.
Mit sportlichen Grüßen
Wolfgang Olbrich